Die geheimnisvolle Patientin Teil 4

Zunächst war das rechte Bein zur Amputation ausersehen. Es wurde etwas hoch gelagert, der

Operationsbereich, also die Stelle, wo es abgeschnitten werden sollte, desinfiziert. Jeanette sah an

dem Bein herauf, bereits innerlich davon gelöst. Es war für sie eine Sache.

Die geheimnisvolle Patientin Teil 4

Anders bei den anderen: Die Schwester bewunderte dieses makellose Bein, der Anästhesist

staunte nur, Christoph, der Chirurg hätte fast mit der Zunge geschnalzt.

Schon legte er zärtlich die

linke Hand um den entspannten Oberschenkel, hob ihn leicht an und hieß, ihn so zu halten,

während er mit dem Skalpell in der rechten den ersten Schnitt führte: von der Spitze des

Beckenknochens bis ganz nach innen, um dann auf der Rückseite neu anzusetzen: genau in der

hübschen Falte zwischen Bäckchen und Schenkel zog er das Messer durch, um diesen Schnitt an

der Innenseite an den ersten anschließen zu lassen. Bevor jeweils die Haut unter dem Druck des

Die geheimnisvolle Patientin Teil 4

Messers gespalten wurde, wurde sie von Christophs linker Hand sanft straff gezogen, wobei sie

leicht nachgab. Fehlte nur noch das Stück an der Außenseite. Hier setzte er noch einmal an, um

einen leicht geschwungenen Schnitt von der Unterseite des Beines bis zu dem Knochenvorsprung

zu führen, wo der erste Schnitt begann.

Es blutete noch nicht allzu sehr, die OP-Schwester konnte

es noch bequem abtupfen. Nun wurde der obere Schnitt vergrößert, Klemmen und Haken

eingesetzt, damit in seiner Tiefe die Adern aufgesucht werden können. Allesamt wurden

nacheinander abgeklemmt, jeweils an der oberen Seite zugenäht und dann endgültig

durchgetrennt. Auf der amputierten Seite waren nur Klemmen angesetzt worden, denn nach der

Amputation würde das Bein gleich durchgespült werden.

Die Adern sollten dafür an eine Pumpe

angeschlossen werden, die eine konservierende Flüssigkeit in alle Blutgefäße verbringt,

Voraussetzung für eine erfolgreiche lebensechte Konservierung der Beine.

Nun wurden die Schnitte immer tiefer. Soweit möglich, verfolgte Jeanette das ganze Geschehen

an ihrem rechten Bein. Stets konnte sie Christophs Augen bzw. sein konzentriertes Gesicht sehen.

Ein gewisses Lächeln war darauf haften geblieben.

Das Lächeln, das sie das erste Mal sah, als sie

ihm von ihren Wünschen, der Amputation ihrer Beine, erzählte.

Inzwischen war er nach Ablösen vielerlei Muskeln, was immer wieder eine veränderte Lage des

abzunehmenden Beines erforderte, bis zur Hüftgelenkkapsel vorgedrungen. Nun bat er, nach dem

er sie geöffnet hatte, dass die Schwester beim Herauslösen des Oberschenkelknochens aus der

Hüftpfanne behilflich sei.

Gemeinsam beugten sie zunächst das Bein, drehten es ein paar mal durchaus auch heftig hin und

her und legten es schließlich wieder, das wohlgestaltete Knie durchgedrückt, auf die Platte. Ein

Haken wurde zu Hilfe genommen, der hinter dem Schenkelhalsknochen griff, und mit dem dann

schließlich der Kopf herausgezogen werden konnte. Das Bein lag flach auf dem Tisch, am oberen

Ende nur etwas widernatürlich hochgezogen.

Gleich nahm der Chirurg das große

Amputationsmesser und schnitt hinter dem Knochen das verbliebene Fleisch genau bis in den zu

Anfang ausgeführten Hautschnitt in der Pobäckchenfalte durch.

Das Bein war vollständig ab.

„Nummer eins!“, sagte Christoph gut gelaunt, „müssen wir aber noch gut zunähen, deine Wunde,

bevor es an das nächste geht!“ Er hielt das Bein kurz hoch, betrachtete es einen winzigen, doch

intensiven Moment und legte es dann auf einen kleinen Wagen, den die Schwester

herangeschoben hatte. Es war dafür viel zu lang und hing an der unteren Seite über die Fläche

hinaus. Es sah etwas lustig aus, und alle, auch Jeanette, mussten etwas lachen. Es war aber auch

etwas traurig, so ein schönes, stolzes und bewundertes Bein – nun ein Stück Fleisch, das sich das

gefallen lassen musste, bloß weil das Personal die Länge von Jeanettes Beinen unterschätzte.

Gleich beruhigte Christoph Jeanette, bevor sie den Gedanken nur hatte, dass es jetzt doch einfach

entsorgt würde.

Er sagte, wobei er ein Tuch darunter schob, das verhinderte, dass an dem frisch

abgenommenen Bein Druckstellen entstehen: „Du wirst sehen, da ist sogar noch Platz für ein

zweites!“

Und schon versorgte er die Wunde, in dem er das Bäckchen nach vorne schlug, passend schnitt

und annähte. Er ließ zwei kleine Öffnungen frei, aus denen kleine Schläuche hingen. Sie dienten

dem Abfluss von Wundsekreten. Darüber hinaus, erklärte der Doktor trotz mangelnder praktischer

Erfahrung damit, sei mit Infektionen bei der Amputation von gesunden Beinen eher weniger zu

rechnen.


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